Quelle: VDMA Magazin #01/02 Februar 2023
Foto: TPG (The Packaging Group)
Interview: Peter Trechow
Materialkreisläufe statt Verpackungsmüll – wieso ist das leichter gesagt als getan?
Marcus Behrens: Dafür müssen entlang der Prozesskette viele Akteure eng zusammenarbeiten. Packmittel und deren Rohmaterialien haben großen Einfluss auf die Prozesse unserer Verpackungsmaschinen, die wiederum von den Kosten, Taktzeiten sowie der Funktion und Qualität der Verpackungen her hohen Anforderungen jener Unternehmen unterliegen, die ihre Produkte damit verpacken. Später in der Kette kommt es auf uns Alle an: Es gilt, Verpackungen richtig zu entsorgen, damit Recyclingfirmen sie in Kreisläufe zurückführen können. Je tiefer Sie ins Detail gehen, desto größer die Herausforderungen. Ein Beispiel: In modernen Verpackungsfolien steckt jahrzehntelange Entwicklung. Sie wurden dünner, reißfester, leistungsfähiger und haben zum Schutz der Ware Barriere-Schichten gegen Fette, Feuchtigkeit, Sauerstoff oder UV-Strahlung. Diese hochentwickelten Folien gilt es nun durch Monomaterialien zu ersetzen, die anspruchsvoll zu verarbeiten und unter Kostengesichtspunkten schwierig sind. Bisher waren über die Wahl der Schichten Kompromisse zwischen Funktion und Kosten möglich, was bei Monomaterialien so nicht mehr möglich ist. Hinzu kommt, dass sie von Hersteller zu Hersteller und teils innerhalb einer Charge oder sogar Rolle schwankende Qualitäten aufweisen…
Sebastian Cruz Euceda: …was in Ausschuss resultiert und den Kostendruck weiter erhöht. Daher müssen wir die Antriebstechnik an das jeweilige Material anpassen und Toleranzen für Qualitätsschwankungen einplanen, um auch bei Höchstgeschwindigkeit stabile Prozesse zu gewährleisten. Das ist nur eine von vielen Herausforderung. Um weiterhin marktreife, effiziente Lösungen entwickeln zu können, muss bei allen Akteuren ein ganzheitliches Verständnis für die unterschiedlichen Herausforderungen entlang der Prozesskette reifen.
Sie haben jüngst in einem Projekt eine Kunststoff- durch eine Papierverpackung ersetzt. Wie weit ist der Weg vom Materialwechsel zur serienreifen Lösung?
Marcus Behrens: Bei uns hat die Entwicklung vier Jahre gedauert. Wir haben transparente Kunststoffschlauchbeutel für einen Spielzeug-Bausatz durch Papierbeutel ersetzt. Da Papier blickdicht ist, braucht es einen Aufdruck, welche Teile enthalten sind. Damit die Teile beim Zusammenbau gut greifbar sind, haben wir einen Standbodenbeutel entwickelt, der sich im Herstellungsprozess ganz anderes verhält als die Kunststoffbeutel. Papier reißt und darf keinesfalls geknickt werden. Das erfordert eine weiche Prozessführung, in der laut Kundenanforderung pro eine Million Beutel maximal 15 Fehler auftreten dürfen. Erschwerend kam hinzu, dass für die Maschine wenig Fläche bereitstand, wir sie also sehr kompakt bauen mussten.
Welche Rolle hat Rockwell Automation gespielt und ab wann war ihre Unterstützung gefragt?
Cruz Euceda: Wir sind vor zwei Jahren dazugestoßen und haben HDG auf dreierlei Weise unterstützt. Technisch ging es darum, die Antriebstechnik und automatisierte Handhabung im Sinne hoher Taktgeschwindigkeiten und Qualität zu optimieren: keinerlei Knicke, Rattermarken oder Einrisse. Im Sinne der Nachhaltigkeit helfen wir bei der Erfassung und Minimierung des Strombedarfs. Und auch zum Aufbau der Lieferkette konnten wir beitragen: Um trotz der Pandemie und des Chipmangel zum Stichtag alle Komponenten bereitstellen zu können, haben wir mit einem unserer Distributionspartner ein eigenes Lager für dieses Projekt aufgebaut.
Für den Übergang zur Circular Economy bräuchte es Maschinen, die verschiedene Materialien mit und ohne Barrierefunktion verarbeiten zu können. Geht das?
Marcus Behrens: Bedingt. Im Projekt haben wir parallel eine Heißsiegelung mit Polymerklebstoff und eine zum Patent angemeldete mechanische Papierverbindung entwickelt, deren Zugfestigkeit es mit Kunststoffverbindungen aufnehmen kann. Gerade für Sekundärverpackungen – einzeln verpackte Produkte in einer Umverpackung – sind rein papierbasierte Ansätze interessant. Unser Prozess lässt sich aber auch mit Kunststoff-Monomaterial fahren. Doch die Flexibilität hat Grenzen. Hauchdünne Hightech-Folie und Papierbahnen lassen sich kaum auf einer Maschine verarbeiten. Und wir haben es heute mit Materialien zu tun, die sich unter Wärmeeinfluss um bis zu zehn Prozent dehnen. Deren Verarbeitung setzt ausgefeilte Sensorik und Aktorik sowie kamerabasierte Qualitätskontrollen voraus.
Woran denkt der Automatisierer bei flexiblen Material- und Maschinenkonzepten?
Cruz Euceda: Ich denke da an den üblicherweise 15- bis 20-jährigen Lebenszyklus von Verpackungsmaschinen. Noch ist unklar, welche Materialien sich durchsetzen und wie sie sich weiterentwickeln. Smarte und flexible Lösungen sind die Voraussetzung, um nachhaltige Innovationen schnell aufgreifen zu können. Und sie werden auch mit Blick auf den Trend zu personalisierten Produkten immer wichtiger.
Ist in Ihrer Praxis schon etwas vom angemahnten Kommunikations- und Kooperationsgeist spürbar?
Marcus Behrens: Wir tauschen uns mit Herstellern von Folien und Papier aus und sind mit deren Rohstofflieferanten in Kontakt. Markenartikler holen uns oft schon in der Frühphase ihrer Projekte ins Boot. Wenn die verschiedenen Akteure zusammenkommen, wird teils kontrovers diskutiert. Genau das bringt uns weiter. Es sensibilisiert uns dafür, wie viele Aspekte für eine nachhaltige Gesamtlösung zu berücksichtigen sind und dass wir unseren Fokus erweitern und die Herausforderungen anderer Akteure mitdenken müssen.
Der EU-Aktionsplan Circular Economy sieht für 2030 vor, 70 Prozent aller Verpackungen zu recyceln. Spiegelt diese Vorgabe sich im Markt wider?
Marcus Behrens: Ja. Multinationale Konzerne wollen dieses Ziel teils schon 2025 erreichen und stellen ihre Prozesse mit Hochdruck um. Das bahnt den Weg für kleinere Anbieter, die erkennbar nachziehen. Fast jede Anfrage, die uns aus Europa erreicht, legt den Fokus auf Recyclingfähigkeit. Auch Umbauten von Bestandsanlagen, die wir für die Verarbeitung nachhaltiger Materialien erweitern, sind sehr gefragt.
Welche Bedeutung misst Rockwell Automation der Transformation im Verpackungsmarkt zu?
Cruz Euceda: Das ist ein Markt mit großem Potenzial, in dem das Thema Nachhaltigkeit zunehmend an Einfluss gewinnt. Um die neuen, oft noch nicht ausentwickelten Materialien industriell verarbeiten zu können, bedarf es datenbasierter, qualitätsüberwachter Prozesse, mit allem, was dazu gehört: Sensorik, Aktorik, Steuerungs- und Kamerasysteme sowie natürlich die Cybersecurity. Das sind Themen, in denen wir uns wohl fühlen – und unsere Kundschaft gern mit unserer technischen und industriellen Expertise unterstützen.
Veröffentlicht 22. Juni 2023